Die Debatte über den Rücktritt von Anne Spiegel ist auch Ausdruck eines seit Langem tobenden Kulturkampfs. Ihre zentralen Werte sind Empathie, Authentizität und Gleichbehandlung aller gesellschaftlichen Schichten (in diesem Fall: Frauen). Sie sagen, Spiegel gebühre unser Mitgefühl – als Opfer einer unbarmherzigen, toxisch-männlich geprägten Leistungsgesellschaft. Eine Landesumweltministerin, die qua Amt für Naturkatastrophen im Bundesland Rheinland-Pfalz verantwortlich ist, darf sich schlicht nicht rausziehen, wenn eine Flutwelle das dortige Ahrtal verwüstet und mehr als hundert Menschen sterben. Die Postmodernisten kritisieren richtigerweise die Kultur übertriebenen Leistungsdrucks – die oft dazu führt, dass Menschen erst lange über ihre Grenzen gehen und dann plötzlich zusammenbrechen (so wie Anne Spiegel). Sie kritisieren zu Recht das toxische Klima, in dem sich Leistungsträger für ihre Schwächen schämen und sich teils genötigt sehen, ihre Fehler vor der Welt zu verbergen.